Dr. Mirko Böttcher zur KI-Entwicklung bei der TK
Der Einsatz von künstlicher Intelligenz (kurz „KI“) gewinnt zunehmend an Bedeutung. Gleichzeitig wirft die Arbeit mit künstlicher Intelligenz aber auch noch viele Fragen auf. Im Interview gibt Dr. Mirko Böttcher, KI-Architekt bei der TK, am Beispiel eines erfolgreich implementierten KI-Projektes Einblicke in das Thema.
Was ist Ihre Aufgabe bei der TK?
Bei der TK habe ich die Rolle des KI-Architekten und beschäftige mich mit der Entwicklung und Integration von künstlicher Intelligenz in unsere Systeme und Anwendungen. Die Spannbreite meiner Tätigkeiten ist dabei groß. Sie reicht von der Beratung der Fachbereiche bei der Suche nach geeigneten Anwendungsfällen für künstliche Intelligenz, über das Management darauf aufbauender Piloten und Projekte bis hin zu der Evaluation und Einführung von Tools und Technologien, die uns ermöglichen schneller und effizienter KI-Ideen zur Produktionsreife zu führen.
Was bedeutet KI?
Für mich besitzt eine Anwendung dann künstliche Intelligenz, wenn sie etwas leistet, das der Nutzer kognitiv eher einem Menschen als einer Maschine zutrauen würde. Das Problem mit dieser Definition ist, das sich diese Messlatte kontinuierlich nach oben verschiebt. Während man Mitte der 90er Jahre sicher überrascht war, dass eine Maschine handgeschriebene Postleitzahlen erkennen konnte, so fällt es heutzutage schwer den Menschen glaubhaft zu machen, dass dies überhaupt künstliche Intelligenz ist.
Wo sehen Sie Vor- und Nachteile für Unternehmen und Privatpersonen?
Die Chance für Unternehmen liegt darin, dass sich viele Tätigkeiten, die Mitarbeiter als monoton empfinden, mit KI gut automatisieren lassen. Prozesse werden so effizienter und Mitarbeiter entlastet. Mit Blick auf die Versicherten ergeben sich viele neue Serviceangebote, die ohne KI undenkbar wären.
Eine Sorge, die ich bei Privatpersonen häufig in Bezug auf KI höre ist, dass sie in Ihrer beruflichen Tätigkeit durch eine KI ersetzt werden könnten. Solche Sorgen sehe ich als unbegründet. KI ist davon noch meilenweit entfernt, auch wenn die Tagespresse manchmal anderes suggeriert. Oft denke ich, dass KI hier leider etwas „überhyped“ wird.
Wo wird künstliche Intelligenz bei der TK eingesetzt?
Ich war positiv überrascht über die Vielzahl und Komplexität der zugrundeliegenden Prozesse bei der Techniker und der Möglichkeiten, wie Versicherte mit uns in Kontakt treten. Für das Thema KI ist das ein Glücksfall, da sich so viele Einsatzmöglichkeiten ergeben. Es reicht von der Klassifikation gescannter Posteingangsdokumente, über die Prüfung von Krankenhausrechnungen bis hin zu Natural Language Processing im Kontext von ChatBot Technologien bei tk.de.
Nachdem wir einen ersten KI-Anwendungsfall erfolgreich implementiert hatten, hat es vielen Kollegen im Unternehmen die Augen geöffnet, was mit KI tatsächlich möglich ist. Dadurch ist unser Backlog an Projektideen mittlerweile so gut gefüllt, dass wir trotz Verdreifachung der KI-Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiter in der IT schon wieder an unserer Kapazitätsgrenze sind.
Wie sehen die Vorgehensweise und die einzelnen Schritte eines für Sie erfolgreich implementierten KI-Projektes aus?
Ganz am Anfang eines KI-Projekts sollte immer der konkrete Anwendungsfall hinterfragt werden. Dann müssen die Daten beschafft, gegebenenfalls aufbereitet und einem Lernalgorithmus zugeführt werden, der daraus dann die eigentliche „KI“ erzeugt.
Es gibt Studien, die zeigen, dass mehr als die Hälfte aller KI-Projekte nach diesem Zeitpunkt scheitert, nämlich bei der Integration der KI in bestehende Anwendungen. Genau genommen ist KI-Entwicklung, nichts weiter als normale Softwareentwicklung, nur eben auf Basis von Daten. Während man bei einer klassischen Softwareentwicklung viel Zeit damit verbringt, die zugrundeliegende fachliche Logik durch Anforderungsanalyse herzuleiten und in Programmcode zu formalisieren, wird bei einer KI-Entwicklung im Prinzip die fachliche Logik aus Daten gelernt. Daher ist es wichtig, dass Vorgehensweisen, Maßstäbe und Best Practises aus modernen Softwareprojekten auch für KI-Projekte angewandt werden.
Welches Projekt haben Sie bereits erfolgreich umgesetzt?
Ein Projekt nutzt KI zur Verbesserung unserer Posteingangsklassifikation. Jedes Jahr erreichen unsere Scanzentren rund 30 Millionen Postsendungen von Versicherten, wie zum Beispiel Zahnarzt-Bonushefte oder Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Ein kommerzielles System zur Dokumentenaufnahme ordnet diese automatisch verschiedenen Kategorien zu, damit sie anschließend in unseren Kernsystemen weiter bearbeitet werden können. Bei rund 10% der Dokumente erkennt das System jedoch nicht automatisch, worum es sich dabei genau handelt.
Hier haben wir erfolgreich Deep Learning eingesetzt und innerhalb von nur acht Monaten eine KI entwickelt, die rund 25% der zuvor nicht erkannten Dokumente automatisch klassifiziert und so die Menge an manuellen Nachbearbeitungen um fast 1 Million Dokumente reduziert. Die KI läuft jetzt seit mehreren Monaten ohne Softwarefehler mit gleichbleibender Güte in einem Live-Test und wird Anfang Dezember vollständig in Produktion gehen.
Welche technischen Herausforderungen zeigten sich bei der Durchführung dieses Projektes?
Das Projekt war unser Pilot für KI-Entwicklung, insofern hatten wir mit vielen Herausforderungen zu kämpfen, die mit der Einführung von neuen Technologien einhergehen. Bisher ist zum Beispiel Java die am meisten genutzte Programmiersprache in der TK, bei KI-Entwicklung jedoch die Sprache Python quasi der Standard. Hier war die Herausforderung, dass im Projekt ein komplettes Ökosystem für Python-Entwicklung eingeführt werden musste. Hier hat es sehr geholfen, dass wir auf erfahrene und breit aufgestellte Softwareentwickler zurückgreifen konnten, denen es sehr gut gelang ihre Erfahrungen aus klassischen Entwicklungsprojekten bei der TK auf die neue Programmiersprache zu übertragen.
Eine andere Herausforderung war, dass KI-Services aufgrund vieler technischer Abhängigkeiten üblicherweise als Docker Container ausgeliefert werden. Als unser Projekt gestartet ist, war das Thema einer skalierbaren Container-Plattform für den produktiven Betrieb noch relativ neu in der TK. Hier konnten wir davon profitieren, das parallel zu unserem Projekt in einem anderen Vorhaben OpenShift eingeführt wurde. Insofern war der unser KI-Projekt auch ein wenig der Pilot für das Thema Containerisierung in der TK und wir konnten gemeinsam mit den System-Engineers aus der IT-Infrastruktur sehr gut Synergien erzeugen.
Eine große Hürde war auch das Thema GPU Computing als notwendige Voraussetzung für Deep Learning. Zwar konnten wir relativ schnell einen Standardserver mit geeigneten Grafikkarten ausstatten, haben aber schnell gemerkt, dass skalierbares Lernen auf mehrere Terabyte an Daten doch einiges an Zusatzarbeiten erfordert. Zudem sind GPUs eine begehrte und unteilbare Ressource, so dass es anfangs Konflikte im Team gab, wer wieviel davon bekommt. Als Konsequenz haben wir die Anzahl der für KI Projekte verfügbaren GPU`s durch Beschaffung einer NVIDIA DGX-1 deutlich erhöht. Zudem arbeiten wir darauf hin, dass auch unsere GPU Ressourcen über OpenShift verwaltet werden.
Welchen Beitrag leistet das KI-Projekt für die TK?
Da wir in dem Projekt früh einen starken Fokus auf die Wiederverwendung von Softwareartefakten und Automatisierung von Entwicklungsabläufen gelegt haben, konnten wir in nachfolgenden KI-Projekten deutlich effizienter entwickeln und unsere Time-to-Market stark verbessern. Letzterer Aspekt ist besonders wichtig, da wir mit diesen KI-Projekten Einsparungen im Bereich von mehreren Millionen Euro realisieren und Service-Verbesserungen für unsere Kunden erzielen.
Mein Weg zur TK
Ursprünglich habe ich Informatik studiert und mich schon sehr früh für Themen, wie maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz begeistert. Über meine Diplomarbeit erhielt ich dann direkt nach dem Studium die Chance, für mehrere Jahre in Großbritannien in den Labs eines großen Telekommunikationskonzerns an praktischen Anwendungen von KI zu forschen. Hier wurde mein Interesse für Software- und Systemarchitektur geweckt: Wie baut man skalierbare, performante aber zugleich wartbare intelligente IT-Systeme? Diese Frage ist für meine Rolle bei der TK von zentraler Bedeutung. So ist über die Jahre neben KI das Thema Architektur mein zweites Standbein geworden. Die Stelle bei der TK bot da für mich eine ausgezeichnete Gelegenheit beide Themen in einer Rolle zu verbinden. Ich musste also nicht lange zögern, um mich zu bewerben und wurde in meinen Erwartungen nicht enttäuscht.